Operative Hektik ersetzt geistige Windstille

Ich denke, ich mache hier mal eine neue Rubrik namens "Außerhalb der Praxis" auf. Ein wenig Gedanken zu den Sachen, die mich hier im (realen) Job belasten. Nicht richtig dauerhaft, aber so diese Stolpersteine, über die man sich schon mal ein paar Tage lang aufregt.

Konkreter Fall ist diesmal eine Person, die als Vertreter des Auftraggebers auftritt. Wenn sie denn mal im Büro erscheint. Meist ist sie jedoch anderweitig unterwegs, kassiert ihr Gehalt ergo fürs süße Nichtstun und stört nicht großartig den Betriebsablauf.
Aber wenn es mal passiert, dass hier etwas Weltbewegendes passiert, dann ist sie da, wie die Fliegen, wenn man mitten in die Wüste kotiert. Speziell, wenn der Kontraktor erklärt, dass der wichtige "Letter of Credit" geöffnet sei. Und schon steht jene Person auf der Matte und kräht herum, wann denn endlich die Autos aus dem Vertrag geliefert würden? Schließlich wolle er ja eines davon. Dass der Vertrag einen ganz anderen Sinn hat, ist dabei nebensächlich.

Ebenso ist ein Vertragsbestandteil die Schulung von Ingenieuren des Kunden zur Bedienung und Wartung der gelieferten Komponenten. Normalerweise ist es klar, dass das Ingenieure sein sollten, die später auch mit den Geräten zu tun haben werden. Nur möchte jene Person auch zu diesen Schulungen gehen. Nicht etwa, um fürs Leben zu lernen, nein, die Beweggründe sind da viel einfacher. Zum einen finden diese Schulungen in Europa statt, zum anderen ist der Lieferant verpflichtet, ein tägliches Taschengeld (neben Hotelübernachtung und Business-Class Flugtickets) in Höhe von gut 400 US-Dollar an die Teilnehmer zu zahlen. Man kann hier unschwer erkennen, wo jener Person Prioritäten liegen: im Einstreichen von Geld, Vergünstigungen und Reisen.

So, nun habe ich zwar lenkende Eigenschaften innerhalb meines kleinen Teilprojektes, muss mich aber dann doch der Willkür und dem Willen des Auftraggebers beugen. Und da kommt dann der politische Faktor ins Spiel. Je besser man seine Beziehungen zu den Regierenden aufgebaut hat, desto besser kommt man an solche "Goodies" heran. Ungeachtet der langfristigen Auswirkungen. Und jene Person ist wirklich ein guter Schauspieler. Technische Ahnung: null. Politische Überredungskünste und versuchte Erpressung: 100 Punkte.

Denke inzwischen über einen kleinen Verkehrsunfall nach.
FrauDinktoc (Gast) - 25. Sep, 18:01

Aus eigener beruflicher Erfahrung muss ich leider bestätigen: diese Typen gibt's überall und sie finden immer einen Weg, ihr Schäflein ins Trockene zu bringen. Ich habe es irgendwann aufgegeben, mich darüber aufzuregen; das ist besser für den Blutdruck.

Inchtomania (Gast) - 25. Sep, 18:08

Also

Ich dachte auch grad, den Typen kenne ich doch? Arbeitet Herr Dr. P etwa hier ganz in der Nähe? Aber nein, 400Dollar Taschengeld gibt es hier nirgends zu ergattern. Aber alles mögliche andere. Und da ist bewusste Person immer da.
Also, die Typen gibt es überall. Und sind überall ein Ärgernis

NeonWilderness - 27. Sep, 12:25

Der Lieblingsklageruf aller Projektmanager: "Das Leben könnte so schön sein ohne Kundenmitarbeiter".

Hm, man könnte sicher mit etwas Geschick ein Szenario schaffen, in dem besagter Schulungsplatz für die Sicherheit des Live-Betriebs so kostbar wird, dass er unter keinen Umständen an einen geldgeilen Kundenprojektleiter ohne Ingenieurfokus vergeben werden kann. Sie sollten die Situation mal beiläufig mit den eigentlichen Entscheidern diskutieren.

pathologe - 27. Sep, 12:37

Die

Schwierigkeit liegt darin, dass beim Gespräch mit dem Entscheider der entsprechende Schmarotzer teilnähme, da er sich bereits bis zu den Fußknöcheln in den Darmtrakt vorgearbeitet hat. Aber ich habe da noch ein anderes Spielchen in Petto. Gerade kam eine kleine Planänderung herein, die ich an alle Mitarbeiter weiterleitete mit der Bitte, mir bis Dienstag doch schriftlich ihre Gedanken, Bedenken und eventuelle Problemlösungen vorzulegen. Mal schauen, ob ich vom Hirudo medicinalis auch etwas bekomme.
NeonWilderness - 27. Sep, 13:57

Leider sind solche Leute sehr kreativ darin, Ihre Vorteile trotz aller Widrigkeiten abzusichern. In Ihrer Power-Map muss es doch 1-2 Vertraute geben, die (auch mal) alleinigen Zugriff auf den Entscheider haben. Macht eh Sinn, sowas über Bande zu spielen.
kelef - 27. Sep, 16:45

woran erinnert mich das bloss?

hilfreich kann es übrigens auch sein, solche leute irgendwas, das sie gerade gelernt haben, dann anderen erklären zu lassen, möglichst vor zeugen. oder sie eine präsentation machen zu lassen, so auf die schnelle.

ich habe damit schon hervorragende erfolge erzielen können. wie ein alter geschäftsführer immer sagte: wenn frau kelef den kopf auf die seite legt und zu einem sagt: "kann man mir das bitte erklären?", dann geht man am besten mit hut unterm teppich rückwärts aus dem raum, und zwar: schnell. der liebte diese spielchen, und wusste nach kurzer zeit sehr gut dass er mir da immer vertrauen konnte. manchmal spielten wir das spiel später auch zu zweit oder zu dritt. von der anvisierten person blieb nie besonders viel übrig. machte ausserdem auch viel spass - also: mir.
NeonWilderness - 28. Sep, 11:19

Naja, Frau Kelef, Spaß macht so etwas eher nicht. Es ist immer mit einem gewissen Risiko verbunden, sich als Externer gegen den vom Kunden eingesetzten (Teil-)Projektleiter zu positionieren. Im Zweifel kennt der die internen Beziehungsgeflechte und Machtverbindungen viel länger und besser als man selbst - und wird sich ihrer bedienen.

Es geht hier doch darum, das Projekt als Ganzes erfolgreich zu machen, indem die richtigen Leute für die Schulung ausgewählt und trainiert werden, und andere, die ihre Teilnahme unter touristisch-finanziellen Aspekten vorantreiben, elegant aus ihrem Denkanspruch herauszuarbeiten.

Sich in diesem "Spiel" zum Erfüllungsgehilfen von ein oder mehreren GFs zu machen, deren Motivlage evtl. eine ganz andere ist, würde mir persönlich zudem sehr widerstreben, weil es ethisch fragwürdig ist und einen individuell in Abhängigkeiten bringt, die man sich doch besser erspart.
kelef - 29. Sep, 06:27

nun, da haben sie mich ein wenig falsch verstanden. beziehungen und macht sind in solchen situationen irrelevant, eben weil es um die sache an sich geht.

manchmal muss man aber wege wählen die nicht so konventionell sind, weil andere spiele spielen.

dass ich zum erfüllungsgehilfen irgendeines gf wurde ist mir nie passiert, ebenso habe ich es tunlichst vermieden persönliche wertschätzungen oder aversionen mit einzubeziehen. ich hatte durchaus kollegen die ich persönlich überhaupt nicht mochte, mit denen ich aber hervorragend zusammenarbeiten konnte, und kollegen die ich menschlich unglaublich schätzte, deren arbeitsstil aber, nun ja: nicht meiner war.

wenn aus irgendwelchen persönlich motivierten, machtinduzierten oder beziehungstechnischen, manchmal auch erpresserischen gründen aber jemand in eine position gerät, in der er schaden anrichten kann oder für eine massive störung im kommunikationsfluss sorgt, dann ist es sehr wohl opportun - und zwar in hinblick auf das grosse ganze - schon einmal unkonventionelle mittel einzusetzen.

manchmal werden ja auch aus verschiedenen gründen positionen mit personen besetzt die einfach die notwendigen voraussetzungen nicht mitbringen, und egal, welche gründe dazu führen: warum soll sich z.b. eine abteilung nicht zusammentun und - wenn alles andere nix nutzt - den abteilungsleiter so auflaufen lassen dass er dann irgendwo landet, wo er keinen schaden mehr anrichtet? das ist immer noch gesellschaftlich akzeptabler als gesammelt bei gf und personalbüro aufzulaufen und festzustellen dass person XY inkompetent ist - das kann zu bösen folgen führen. wenn sich die leut' aber selber ins out schiessen, jo mei ... und ein bisserl nachhelfen wird man ja noch dürfen, wenn man nix verstanden hat weil es einem keiner erklärt hat.

es darf dabei nur nie persönlich oder unter der gürtellinie gespielt werden, das geht natürlich nicht, man muss sachlich und neutral bleiben.

individuelle abhängigkeiten waren zudem nie mein ding. gschäft is gschäft und schnaps is schnaps, und sogar wenn ich zehnmal mit einem gf saufen und feiern war, offiziell war das immer noch "sehr geehrter herr" hin, und "sehr geehrte frau" zurück.
pathologe - 29. Sep, 09:27

Sie

haben beide Recht. Herr Neon, natürlich, und das ist der hiesigen Gesellschaft mit ihren Traditionen geschuldet, hat der Kundenrepräsentant seine Verbindungen innerhalb der Organisation des Kunden. Zu meinem Glück jedoch gehört er zu der Klientel, mit denen Entscheidungsträger lieber weniger zu tun haben wollen, da der Nutzen aus solch einer Beziehung nicht auf beiden Seiten besteht. Hätte die besagte Person auch außerhalb des Geschäftsumfeldes Einfluss und Macht, so würde er wohl in den elitären Zirkel aufgenommen. (Ein aktuelles Beispiel: ein "guter Bekannter" des CEO des Energieversorgers bekommt einen Auftrag zugeschustert, den er nicht erfüllen und abliefern kann. Das Geld wird trotzdem bezahlt werden, die Arbeit irgendein Underdog machen, das Ergebnis nutzlos sein. Jemand, der den Auftrag problemlos hätte ausführen können, bekommt ihn aber nicht, da er nicht zum Freundeskreis des CEO gehört). Dieses Fehlen der Mitgliedschaft im elitären Zirkel kann ich nun auch ausnutzen, wenn ich den Herrn an die Wand laufen lassen möchte.

Frau Kelef, aus genau jenem Grund haben auch Sie Recht. Der Herr hat keinerlei Freunde in den höheren Positionen, obgleich er sich durch geschicktes Schauspielern darum bemüht. Daher würde eine Beschwerde bei den Vorgesetzten kaum nützen. Auch aus dem Grund, da jene meist selbst korrupt sind und im Bereich Reisen absahnen wollen. Ich denke da nur an ein einwöchiges "Seminar" in Malaysia, zu dem das gesamte Management flog. Sie glauben nicht, wie viele Personen direkt vor diesem Seminar plötzlich noch zum Manager erhoben wurden.
Was das an die Wand laufen lassen betrifft: ich habe meiner gesamten Abteilung, allen 6 Personen, eine kleine Aufgabe gestellt. Durch eine Änderung, ausgelöst durch einen anderen Teilbereich innerhalb des Projektes, sind Probleme entstanden. Das Team soll mir nun bis Dienstag schriftlich darstellen, welche Probleme das sind und wie wir sie lösen können. Ich erwarte, ehrlich gesagt, nichts von jenem Herrn. Und werde ihn mir danach zur Brust nehmen. Gibt ja nur zwei Möglichkeiten: entweder das Problem ist zu trivial für ihn, so dass er mir nicht antwortet. Dann muss er aber auch nicht zum Training, da er ja alles schon weiß. Oder er hat einfach keine Ahnung und darf mir die Geschichte erklären. Dann ist das Training aber auch nichts für ihn, da ihm ja offensichtlich die Grundlagen komplett fehlen. Quellen von außen, die ihm helfen könnten, habe ich versiegen lassen.
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